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Vollmundige Werbeversprechen Das sind die Kandidaten für den »Goldenen Windbeutel«

Schnöde Haferflocken für vier Euro je 400 Gramm – oder Chips mit sechsmal so viel Zucker wie andere: Foodwatch prangert für den Schmähpreis »Goldener Windbeutel« besonders dreiste Werbung an.
Die Kandidaten für den »Goldenen Windbeutel« 2023: »Nur die Spitze des Eisbergs«

Die Kandidaten für den »Goldenen Windbeutel« 2023: »Nur die Spitze des Eisbergs«

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Vor mehr als 30 Jahren fiel ausgerechnet der Melitta-Mann durch erstaunliche Ehrlichkeit auf. Egon Wellenbrink sinnierte auf den Röhrenbildschirmen deutscher Wohnzimmer über die Zwiespältigkeit von Reklame und bewarb in einem Spot das Aroma des Kaffees mit dem Satz: »Sie müssen es einfach glauben.«

Andere Lebensmittelhersteller gehen bei ihrer Reklame deutlich subtiler vor. Problematisch für Konsumentinnen und Konsumenten wird es besonders dann, wenn Werbung nicht das einlöst, was sie verspricht oder zumindest suggeriert. Manche Produkte verheißen beispielsweise etwas Gutes für die Gesundheit, andere ein ökologisches Gewissen oder dank aufgeplusterter Verpackungen deutlich mehr Inhalt, als eigentlich drinsteckt. Was genau enthalten ist, wird erst bei einer oft mühsamen Analyse des Kleingedruckten auf der Rückseite deutlich.

Auch, wenn solche Kniffe häufig legal sind, können sie nach Ansicht von Verbraucherschützern doch eine Werbelüge darstellen. Kandidaten, die dabei besonders unverschämt vorgehen, nominiert Foodwatch nun zum zwölften Mal für den »Goldenen Windbeutel«.

In Zeiten starker Inflation, in denen die Hersteller die Preise häufig deutlich stärker anheben als die Kosten steigen , war es für die gemeinnützige Organisation 2023 ein Leichtes, geeignete Kandidaten zu finden. Besonders viele Hinweise, die Foodwatch über das Portal Schummelmelder erreichten, befassten sich dabei mit dem Phänomen Shrinkflation: gleicher oder höherer Preis bei neu beworbener, aber geschrumpfter Packungsgröße.

Rauna Bindewald von Foodwatch kritisiert deshalb: »Gerade in Zeiten, in denen die Menschen beim Einkauf ohnehin schon kräftig zur Kasse gebeten werden, sind überteuerte Werbelügen besonders unverschämt«. Die fünf nominierten Produkte seien »nur die Spitze des Eisbergs.« Verbraucherinnen und Verbraucher hätten »bei der Vielzahl der Täuschungstricks im Supermarkt kaum eine Chance, den Durchblick zu behalten«.

Darüber, welche Werbemasche 2023 besonders dreist ist, können Verbraucherinnen und Verbraucher von diesem Donnerstag an abstimmen . Zur Wahl stehen bis zum 24. Juni insgesamt fünf Produkte von Yfood, 3 Bears, Intersnack und Mondelez. Hier stellen wir die Kandidaten vor:

Mondelez: Philadelphia mit Ziegenkäse und Rosmarin

Foto: foodwatch

Beim Lebensmittelhersteller Mondelez greift man bei der Werbung für die neue Frischkäsesorte gern zu Adjektiven. »Cremiger Philadelphia kombiniert mit mildem Ziegenkäse« sorge samt Rosmarin für ein »neues Geschmackserlebnis«, heißt es auf der Homepage des Unternehmens zur Sorte des Jahres. Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten – aber auch über laut Foodwatch allzu vollmundige Werbeversprechen bei dem Produkt.

Name und Verpackungsgestaltung, so die Organisation, erweckten den Eindruck, es handele sich um ein Ziegenkäseprodukt: »Erst versteckt im Kleingedruckten erfährt man: Der Ziegenfrischkäseanteil liegt gerade einmal bei drei Prozent!« Foodwatch fordert, dass der Hersteller den Anteil, den eine Zutat im Produkt ausmacht, in Prozentzahlen gut sichtbar auf der Vorderseite nennen muss. Und verweist darauf, dass es auch sprachlich anders gehe: Ein vergleichbares Produkt eines Konkurrenten würde deutlich zurückhaltender werben, indem es lediglich angebe, dass es mit Ziegenkäse verfeinert sei. Bei der Philadelphia-Sorte dagegen prangt auf dem Deckel der Dose eine Ziege nebst Ziegenkäserolle und Rosmarinzweig, ein Hinweis auf die vor allem enthaltene Kuhmilch fehlt.

So reagiert das Unternehmen: Mondelez rechtfertigt die Gestaltung der Verpackung auf Anfrage damit, dass so die Sorte einfach im Regal zu erkennen sei. Es handle sich bei Rosmarin und Ziegenkäse zudem um die den Geschmack des Produkts »mitprägenden Zutaten«. Wer es genauer wissen wolle, dem helfe ein Blick auf die Zutatenliste auf der Verpackung: Dadurch könnten sich Konsumentinnen und Konsumenten »bereits vor dem Kauf informieren und entscheiden, ob das Produkt ihren Erwartungen entspricht«.

Intersnack Deutschland: Pom-Bär Ofen Minis

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Nur eine Miniversion von Pom-Bär – und durch das Backen im Ofen womöglich gar noch gesünder als andere Chips? Die »luftig-leichten« Pom-Bär Ofen Minis werden offensiv damit beworben, nur halb so viel Fett zu beinhalten wie herkömmliche Kartoffelsnacks. Doch um auch ohne Frittieren zum »maximalen Genuss« zu kommen, wie es der Hersteller verspricht, greift Intersnack laut Foodwatch zu einem anderen bedenklichen Kniff.

Die Chips in Bärenform (Sorten Paprika und Sour Cream Style) enthielten etwa sechsmal so viel Zucker wie die Original Pom-Bären »und dürften nach den Empfehlungen der WHO gar nicht erst an Kinder beworben werden«, kritisiert die Organisation. Der Unterschied beim Zucker ist tatsächlich deutlich: Während die beiden Mini-Ofen-Varianten 12 beziehungsweise 13 Gramm Zucker je 100 Gramm enthalten, sind es bei Original Pom-Bären nur 2,2 Gramm je 100 Gramm.

Dabei richte sich die Aufmachung »explizit an Kinder, indem es lachende Comicfiguren auf die Verpackungen druckt und die Chips in Bärenform präsentiert«. Daran dürfte sich selbst mit dem anstehenden Verbot von an Kinder gerichtete Werbung für Essen mit zu viel Zucker, Fett und Salz  nichts ändern: Die Pläne des grünen Ernährungsministers Cem Özdemir richten sich in erster Linie gegen Werbung in TV, Radio und Internet.

So reagiert das Unternehmen: Intersnack führt den höheren Zuckergehalt der Pom-Bär Ofen Minis auf Anfrage auf den im Vergleich zu herkömmlichen Chips abweichenden Herstellungsprozess zurück. Aufgrund des Zusammenspiels von Kartoffel und Weizen enthielten diese mehr Zucker als andere Kartoffelsnacks: In dem Weizenmehl sei ein bestimmtes Enzym enthalten. »Diese Weizen-eigene Amylase spaltet die Kartoffelstärke aus den Kartoffelprodukten auf und Zucker entsteht im Teig.« Das Unternehmen habe sich auch wegen Rufen von Kunden nach weniger Fett dafür entschieden.

Trotz Bärchenoptik weist Intersnack den Vorwurf zurück, seine Ansprache ausschließlich auf Kinder auszurichten. Man sei eine Familienmarke, zu der Eltern und Familien greifen sollen. Man setze auf verantwortungsvolles Snacken.

Yfood Labs: »This is Food«-Drink Smooth Vanilla

Foto: foodwatch

Cool, urban – und vor allem schnell und ausgewogen, so kommt der »This is Food«-Drink von Yfood in der Werbung daher. »Alles, was Dein Körper braucht«, heißt es in einem betont lässigen Clip, in dem Schauspieler Frederick Lau um die Häuser zieht. Doch eine vollwertige oder gar gesunde Trinkmahlzeit, die auch noch schnell sättigt, ist der Drink den Foodwatch-Recherchen zufolge keineswegs. Die Verbraucherschützer monieren, dass der Drink Süßstoffe enthalte, die zu einer Süßgewöhnung beitragen – und zugleich mit der Beschreibung »ohne Zuckerzusatz« werbe, je 500 Milliliter-Flasche aber 22 Gramm Zucker aus der Kuhmilch enthalte. Entsprechend, so die Vermutung, werde sich mit der Reform des NutriScores für Getränke  bald auch die Einstufung enorm verschlechtern.

Die Zusammensetzung und die flüssige Konsistenz seien also für eine Mahlzeit gar nicht geeignet – aber auch nicht zum Abnehmen, wie laut Foodwatch von vielen Verbrauchern erhofft. Schon weil der Drink sehr viele Kalorien enthalte: stolze 500 je Flasche. Die Foodwatch-Ernährungswissenschaftlerin Alice Luttropp nennt es dennoch gar »absurd, Yfood als vollwertiges Essen zu verkaufen«. Problematisch sei unter anderem, dass eine Flasche schnell getrunken sei, ein Sättigungsgefühl sich aber erst nach etwa 20 Minuten einstelle. Dazwischen würden möglicherweise weitere Kalorien konsumiert. Die Organisation kritisiert auch den Preis: 3,99 Euro im Laden für einen halben Liter »Milch mit Wasser und ein paar zugesetzten Vitaminen, Mineralien und Süßstoff« seien »ziemlich happig«.

So reagiert das Unternehmen: Yfood rechtfertigt den Einsatz des Süßstoffs Sucralose mit dessen hoher Süßkraft, wodurch auf den Zusatz von Haushaltszucker verzichtet werden könne. Dass durch die Milch doch auch recht viel Zucker enthalten sei, sei nicht entscheidend. Vielmehr komme es auf die Stoffwechselbelastung an, also wie schnell das Produkt den Blutzuckerspiegel ansteigen lässt – und diese Belastung sei bei Yfood sehr gering, teilte das Unternehmen mit. Die Trinkmahlzeiten seien auch »keine Diätdrinks und stellen keinen kompletten Nahrungsersatz dar«. Den Preis hält das Unternehmen für fair.

Mondelez: Tuc Bake Rolls

Foto: foodwatch

Ob für einen Brotsalat oder als Snack auf Reisen: Viele Verbraucher greifen gern mal zu den Bake Rolls. Am Inhalt an sich hat Foodwatch auch erst mal nichts auszusetzen. Besondere Kritik zieht das Produkt von Mondelez auf sich, weil es innerhalb kürzester Zeit enorm teuer geworden ist.

Der Lebensmittelkonzern verkauft die Bake Rolls, die zuvor unter der Marke 7Days angeboten wurden, neuerdings unter der Marke Tuc. Dabei, so Foodwatch, handele es sich quasi um das gleiche Produkt – nur werde es jetzt deutlich teurer verkauft: Kosteten 250 Gramm im Einzelhandel zuvor 1,39 Euro, so müssten für 150 Gramm jetzt 1,99 Euro hingelegt werden. Das entspreche einer Preiserhöhung von 139 Prozent.

Für die Verbraucherschützer ein drastischer Fall von Shrinkflation. Aussehen, Rezepturen und Nährwerte verschiedener Bake-Rolls-Sorten seien dabei nahezu identisch geblieben, heißt es unter Berufung auf die Verbraucherzentrale Hamburg. Lediglich der Salzgehalt der neuen Bake Rolls falle etwas geringer aus.

So reagiert das Unternehmen: Mondelez weist Verantwortung für die enorm gestiegenen Preise von sich. »Die Gestaltung der Endverbraucherpreise liegt alleine beim Lebensmitteleinzelhandel beziehungsweise beim Onlinehändler«, teilt das Unternehmen mit. Und: »Als Hersteller haben wir darauf keinen Einfluss.« Dass die Brotchips nun als Tuc erscheinen und nicht mehr unter der Marke 7Days, die seit 2022 ebenfalls zu Mondelez gehört, hänge damit zusammen, dass man salzige Snacks unter der etablierten Cracker-Marke bündeln wolle. Und auch auf ihnen seien Inhalt und Gewicht genau angegeben.

3 Bears: Porridge

Foto: foodwatch

Wenn jemanden der Hafer sticht, dann ist er sprichwörtlich übermütig. Vielleicht auch etwas übermütig sind die Gründer des Start-ups 3 Bears, die in der TV-Show »Höhle der Löwen« Geld für ihr Porridge-Unternehmen einsammelten. Zwar setzen die beiden Münchner inzwischen »Millionen mit Haferschleim« um, wie sie der »Bild «-Zeitung sagten. Doch das dürfte nach Ansicht von Foodwatch vor allem daran liegen, dass sie stinknormale Haferflocken zu horrenden Preisen anbieten.

Die Gestaltung des »kernigen Klassikers«, so die Verbraucherschützer, verspreche groß »Porridge« und das auch noch »zuckerfrei«. Dadurch werde der Eindruck erweckt, dass dahinter mehr als gewöhnliche Haferflocken stecken könnten. Doch der »Solo-Star«, die »geheime Mischung aus Vollkornhaferflocken«, sei bei einem Blick auf die Zutatenliste schlicht und einfach: 100 Prozent Haferflocken.

3 Bears wirbt damit, man verwende »nur ausgewählte Qualitätsflocken« und verzichte »auf Zusatzstoffe und zugesetzten Zucker«. Doch das sollte bei reinen Haferflocken laut Foodwatch ohnehin selbstverständlich sein. Die gewöhnlichen Flocken sind dafür aber sehr kostspielig: Für 400 Gramm Haferflocken von 3 Bears werden im Einzelhandel oft 3,99 Euro fällig. Sie sind damit etwa sechsmal so teuer wie jene von Eigenmarken der Supermarktketten.

So reagiert das Unternehmen: 3 Bears zeigt sich angesichts der Vorwürfe überrascht. Die Nominierung »stimmt uns traurig«, teilte eine Gründerin mit. Beim »Kernigen Klassiker« handele es sich um »viel mehr« als nur Haferflocken. »Wir beziehen unsere Haferflocken aus einer familiengeführten Hafermühle im Schwarzwald«, teilte das Unternehmen nach der Nominierung mit. Wenn von einer geheimer Mischung gesprochen werde, beziehe sich das auf die verschiedenen Mahlgrade der Haferflocken, die in unterschiedlichen Anteilen in der Mischung vorkämen. Man stehe für Qualität »made in Germany«, »welche ihren Preis hat«. Im Handel sei dieser seit inzwischen sieben Jahren nicht erhöht worden.

Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wurde nach Veröffentlichung um eine Stellungnahme von 3 Bears ergänzt. Zudem stand in einer früheren Fassung, die Gründer dieses Unternehmens machten inzwischen Millionen mit Haferschleim. Tatsächlich setzen sie Millionen damit um. Wir haben die Stelle geändert.