23.04.2020

Runderneuerte Reifen – Neues Leben eingehaucht

Seit über 100 Jahren gibt es runderneuerte Reifen. Doch können diese Recycling-Pneus mit Neureifen mithalten? Wir haben getestet.

Reifen sind rund, schwarz und reich – genau gesagt, rohstoffreich. In jedem Reifen stecken etwa 40 verschiedene Materialien: Stahl, Textil, aber vor allem Gummi. Etwa 40 Prozent eines Reifens macht der Kautschuk aus. 70 Prozent der weltweiten Kautschukernte verschlingt die Reifenindustrie, die damit eine Milliarde Reifen pro Jahr herstellt. Zurück bleibt, allein in Deutschland, jedes Jahr ein riesiger Müllberg von 60 Millionen Altreifen. Über die ökologischen Folgen sowie die miserablen Arbeitsbedingungen auf den Kautschuk-Plantagen berichtete die Dokumentation „Schmutzige Reifen“ (bis August in der ARD-Mediathek) ausführlich. Außerdem präsentierte sie eine einfache, aber nachhaltige Lösung: runderneuerte Reifen. Was darauf folgte, war eine Vielzahl an Leserbriefen – auch an ACE LENKRAD: Wo kann man die kaufen, warum wird darüber nicht mehr berichtet und wie gut schneiden sie ab?

Runderneuerte Reifen gibt es schon lange

Doch runderneuerte Reifen sind keineswegs eine technische Neuheit. Schon vor über 100 Jahren gab es erste Versuche. Interessant wurde es vor allem mit dem Radialreifen, denn dort konnte man die darunterliegende Reifenstruktur, also die Karkasse, behalten und eine neue Lauffläche mit entsprechendem Profil auftragen. Heraus kommt – zumindest optisch – ein Neureifen. In der DDR hatten die Recycling-Reifen sogar Hochkonjunktur: Am Ende fuhr fast jedes zweite Auto mit dieser Art Pneu. Doch wie genau funktioniert die Runderneuerung?

So werden Reifen recycelt

Zunächst gilt es, die richtigen Reifen zu finden und beschädigte Exemplare auszusortieren. Mit Nagellochdetektoren und zum Teil sogar Röntgengeräten prüfen die Runderneuerer intensiv die Alt-reifen. Reifen Hinghaus, einer der letzten Runderneuerer aus Deutschland, verwendet zum Beispiel ausschließlich Karkassen von Premiumherstellern, die nicht älter sind als sieben Jahre. Dann wird die alte Lauffläche abgerieben oder abgeschliffen. Das abgehobelte Gummi landet dann zum Beispiel als Granulat auf dem Sport- oder Spielplatz. Im Anschluss wird eine neue Lauffläche auf die Karkasse gelegt und unter hohem Druck und heißen Temperaturen aufgebacken. Zuletzt erfolgt noch eine Rundlauf- und Druckprüfung. Denn auch runderneuerte Reifen müssen einen gesetzlichen Mindeststandard erfüllen. So viel also zur Theorie.

Nur ein Produkt ist auf dem Markt

Wir wollten allerdings auf der Teststrecke wissen, wie gut sich die Reifen gegen Neureifen schlagen. Das Angebot auf dem deutschen Markt ist jedoch klein, in der Größe 215/55 R17 gab es zum Zeitpunkt unseres Tests nur den Insa Turbo Evolution Plus. Ein spanisches Produkt, das als „echter Ökoreifen“ vermarktet wird und auch „optimal für Hybride“ sein soll. Was direkt auffällt: Der Reifen ist mit 11,6 kg deutlich schwerer als die Konkurrenz, die etwa 8,5 bis 10,5 Kilo wiegt. Er fühlt sich auch viel steifer an. Außerdem fehlt ihm das Reifenlabel – bei runderneuerten Reifen ist das nämlich nicht vorgeschrieben. Ansonsten riecht und fühlt der Reifen sich an wie ein x-beliebiger Neureifen.

Die Recycling-Pneus können nicht überzeugen

Überzeugen kann er allerdings nicht. Selbst gegen die von uns getesteten Zweitmarken und günstigeren Reifen aus Fernost ist er in allen Kategorien deutlich unterlegen: Er schwimmt beim Aquaplaning zuerst auf, verliert in der Kurve als Erster den Grip und hat den mit Abstand längsten Bremsweg. Außerdem ist der Rollwiderstand am höchsten: Knapp 0,7 Liter mehr pro 100 Kilometer würde das Auto mit runderneuerten Reifen so verbrauchen. Damit fällt auch das heute überwiegende Kaufargument weg, der günstige Preis. Denn der Testsieger unseres Sommerreifentests ist nicht viel teurer: 58 Euro kostet der Runderneuerte, der Testsieger Maxxis Premitra HP5 ist mit knapp 70 Euro unwesentlich teurer. Und nach knapp 10.000 Kilometern haben sich die Reifen amortisiert.

In Zukunft soll sich die Qualität verbessern

Fazit: Gut gedacht, aber schlecht gemacht. Runderneuerte Reifen brauchen in der Produktion zwar viel weniger Stahl, Kautschuk und Textil, dafür sind die Bremswege zumindest auf nasser Fahrbahn gefährlich lang. Wer sparen will, sollte lieber gezielt nach getesteten Reifen und Preis-Leistungs-Siegern Ausschau halten. Allerdings ist Bewegung auf dem Markt. Reifen Hinghaus hat angekündigt, bei der nächsten Generation runderneuerter Reifen stärker auf Bremswege und Aquaplaningverhalten zu achten. Auch in der Vermarktung sollen neue Wege eingeschlagen werden und das Thema Nachhaltigkeit und nicht der Preis in den Vordergrund rücken. Es bleibt also spannend. Wir bleiben dran und werden auch in den kommenden Reifentests immer wieder runderneuerte Reifen mitnehmen und über Fortschritte berichten.