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Neues Gesetz in Norwegen Feiert den Allerweltskörper!

In Norwegen müssen retuschierte Werbebilder gekennzeichnet werden. Deutsche Politikerinnen fordern nun ähnliche Maßnahmen. Bis die in Kraft treten, verhilft eine alte RTL2-Show zu einem neuen Körperverständnis.
Normale Körper: Die Dating-Show »Naked Attraction« zeigt uns, dass alle Körper schön sind

Normale Körper: Die Dating-Show »Naked Attraction« zeigt uns, dass alle Körper schön sind

Foto: Hope und Kurt / RTL

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In Norwegen müssen ab diesem Freitag Influencer und Influencerinnen sowie andere Werbeschaffende kennzeichnen, wenn das Aussehen von Personen in Werbeanzeigen geändert worden ist. Retuschierte und anderweitig manipulierte Erscheinungsbilder wie etwa Veränderungen der Gesichtsform, breitere Schultern, ein klareres Hautbild und schmalere Hüften müssen mit einem einheitlichen Logo gekennzeichnet werden.

Norwegens neues Retuschiert-Logo: Wer Körper in der Werbung oder in sozialen Medien nachbearbeitet, muss das Logo gut sichtbar platzieren.

Norwegens neues Retuschiert-Logo: Wer Körper in der Werbung oder in sozialen Medien nachbearbeitet, muss das Logo gut sichtbar platzieren.

Foto: Verbraucheraufsichtsbehörde Norwegen / dpa

Die Norweger und Norwegerinnen können sich glücklich schätzen. Denn dieses Gesetz bietet die Chance, neu sehen zu lernen. Erst mal andere Personen und Körper – und dann auch den eigenen.

Es ist keine Neuigkeit, dass die idealisierten, retuschierten, schönheitsnormierten Körper und Gesichter, die uns in sozialen Medien, auf Werbeplakaten und Zeitschriften-Covern als »normal« verkauft werden, nicht gerade dafür sorgen, dass Menschen sich in ihren eigenen Körpern wohler fühlen. Im Gegenteil: Der medial vermarktete Körper sorgt dafür, dass wir uns mit ihm vergleichen – und diese alltäglichen Schönheitswettbewerbe allzu oft verlieren. Bäuchlein statt Sixpack, Orangenhaut statt straffer Schenkel, Aknenarben statt Seidenwangen und und und.

Sehschule »Naked Attraction«

Eine Werbebranche, die computergeschönte Körper kennzeichnen muss, wird uns mehr Normalität zeigen – oder eben offenlegen müssen, dass jemand nachträglich aufgehübscht wurde.

Auch in Deutschland wäre das ein prima Gesetz, denn es könnte auf lange Sicht gleichförmige Perfektion und schädliche Normierung von Körpern durch Vielfalt und neue Verständnisse von Schönheit ersetzen. Vielleicht sogar einer Freude an der Verschiedenheit und Einzigartigkeit jedes Körpers – auch unseres eigenen.

Das ist kein naives Märchen von einer besseren Zukunft. In Deutschland können wir bereits erleben, wie sich durch das ganz selbstverständliche Herzeigen von Allerweltskörpern unser Blick verändert. Diese erstaunliche Sehschule findet sich nicht auf der Seite des Bundesministeriums für Bildung, sondern auf RTL2, beziehungsweise im Angebot der Fernsehguck-App RTL+. Sie heißt »Naked Attraction« und ist eine Datingshow, die zwischen 2017 und 2020 erstausgestrahlt wurde.

Es könnte ziemlich cheesy werden

Die Regeln: Eine Person auf der Suche nach einem Date steht vor sieben Kästen mit Milchglasscheiben, in denen jeweils ein nackter Mensch steht. Manchmal sind es Männer, manchmal Frauen, manchmal Transpersonen oder alles gemischt – je nachdem, was die Person sucht und bevorzugt.

Das alles könnte es ziemlich cheesy werden. Denn das Spiel geht so, dass die Milchglasscheibe bei allen sieben bis zur Gürtellinie hochfährt, also den Blick auf Füße, Beine, Pos, Penisse, Vulven und Hoden freigibt.

Aber jetzt kommt die wunderbare Überraschung: Es wird kein bisschen schlimm. Denn der jeweilige Gast blickt mit so viel Freundlichkeit, Respekt und Freude an Vielfalt auf die Körper, dass es eine Lust ist.

Da sind Knubbelknie, weiche und fitnessstudiogestählte Schenkel, kleine Bäuchlein, Operationsnarben, unterschiedlich große Schamlippen, gebogene Penisse, mal rasierte, mal unrasierte Schambereiche.

Eine Feier des Allerweltskörpers

Spätestens hier merken Zuschauerinnen und Zuschauer, dass es »normal« nicht nur nicht gibt, sondern dass es langweilig ist. Denn die Show ist eine Feier des Körpers in all seiner Verletzlichkeit, Eigenheit, Unnormierbarkeit.

Natürlich reicht eine fast vergessene TV-Sendung nicht aus, um unser Verhältnis zu unseren Körpern nachhaltig zu verändern. Denn noch immer laufen viele Zeitschriftentitel, Werbebilder und Instagram-Influencer und -Influencerinnen einem wenig sinnvollen Ideal von Schönheit hinterher.

Das haben auch deutsche Politiker und Politikerinnen erkannt und reagiert. Nach einer Konferenz der Gleichstellungsministerinnen und -minister an diesem Freitag forderte Hamburgs Gleichstellungssenatorin Katharina Fegebank (Grüne), rechtliche Regelungen zu Kennzeichnungspflicht von retuschierten Werbebildern und den Einsatz von Beautyfiltern einzuführen.

Der Schritt dahin dürfte so riesig nicht sein. Schließlich werden Tabakverpackungen seit Jahren mit Schreckensbildern bedruckt, die uns die gesundheitsschädlichen Folgen des Rauchens drastisch vor Augen führen. Auch bei der Darstellung von Körpern geht es um unsere Gesundheit – und zwar um die seelische. Denn die Bilder unerreichbar hübscher Menschen beeinflussen viel zu oft das engste Verhältnis, das wir haben: das zu unserem eigenen Körper.

Mit Material von dpa

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