Anpassen oder Untergehen - Klimawandel verändert Küstenfischerei und Gesellschaft in Peru

Forschende aus Deutschland und Peru entwickeln gemeinsam neue Anpassungsstrategien an Klimaveränderungen im Humboldt-Auftriebsgebiet vor der peruanischen Küste

Das Meer vor der Westküste Südamerikas gehört zu den ertragreichsten Fischgründen der Erde. Der Humboldtstrom sorgt für einen hohen Nährstoffeintrag und damit für ausreichend Nahrung für kommerziell weltweit genutzte Fischarten wie etwa Sardelle oder MahiMahi. Veränderungen im Ökosystem durch die zunehmende Erwärmung des Ozeans haben nicht nur Auswirkungen auf die Gesundheit der Meere, sondern auch auf die globale Fischerei und die Bevölkerung in der Region. Im vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt Humboldt-Tipping haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland und Peru unter Leitung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) diese Zusammenhänge im Humboldt-Auftriebsgebiet vor der Küste Perus vier Jahre lang umfassend untersucht und gemeinsam mit Nutzergruppen vor Ort Anpassungsstrategien an die veränderten Umweltbedingungen entwickelt. Die bisherigen Ergebnisse veröffentlichen die Forschenden in einer virtuellen Ausstellung, die anlässlich der Kieler Woche der Öffentlichkeit vorgestellt wird.

Der Klimawandel wirkt sich unmittelbar auf eines der wichtigsten Fischgebiete der Welt aus. Wie in kaum einer zweiten Region der Erde sind im Humboldt Auftriebsgebiet ökologische, soziale und wirtschaftliche Dynamik eng miteinander verbunden. Rund acht Prozent der globalen Fangmenge an Meerestieren kommt aus den Gebieten vor den Küsten Perus. 80 Prozent davon werden für Fischmehl und Fischöl exportiert – ein Großteil in Aquakulturen in China und Norwegen verfüttert.

Schwindende Fischbestände sorgen für lokale und globale Auswirkungen

„Insbesondere die Folgen für die globale Fischereiwirtschaft lassen sich nur schwer auffangen ohne Anpassungsstrategien, die von lokalen Nutzergruppen sowohl mitentwickelt als auch später mitgetragen werden,“ sagt Professorin Marie-Catherine Riekhof vom Center for Ocean and Society des Forschungsschwerpunktes Kiel Marine Science (KMS) an der CAU und Leiterin des Projektes Humboldt-Tipping, das explizit einen ganzheitlichen und transdisziplinären Ansatz verfolgt. Gemeinsam mit den peruanischen wissenschaftlichen Partnern haben die Forschenden aus Hamburg, Bremen und Kiel ein Netzwerk aus Fischerinnen und Fischern, Verbänden, Kommunen und Nutzergruppen aus Aquakultur und Tourismus aufgebaut und mit ihnen vor Ort und im Dialog Methoden entwickelt, um auf die veränderten Bedingungen reagieren zu können. Grundlage für die Arbeiten war zunächst die Analyse von potenziellen Effekten einer Veränderung im Stickstoffkreislauf im Humboldt-Auftriebsgebiet. Dieses sorgt für ausreichend Nährstoffe für Phytoplankton, kleine Organismen, die zur Beute von Fischen gehören und ein wesentlicher Indikator sind für ein gesundes Ökosystem. „Unsere Modellanalysen zeigen, dass sich Veränderungen von Plankton jedoch weit weniger auf die Produktivität der Fischbestände auswirken als erwartet. Die Ergebnisse deuten eher darauf hin, dass das Überleben der Nachkommen und Veränderungen im Lebensraum selbst einen großen Einfluss auf die Bestandsschwankungen haben“, sagt Dr. Mariana Hill vom GEOMAR Helmholtz Zentrum für Ozeanforschung Kiel, die sich mit möglichen biogeochemischen Kipppunkten im Projekt beschäftigt hatte.

Ferner wurden Ökosystemmodelle erstellt und Klimaprojektionen analysiert, um Vorhersagen zu Kipppunkten und zukünftigen Klimabedingungen treffen zu können. Die Projektionen zeigten einen möglichen Zusammenbruch oder Rückgang einiger Schlüsselarten wie etwa der Sardelle, aber auch stetige Veränderungen wie eine oberflächennahe Erwärmung im Humboldt-Auftriebsgebiet.

Keine Anzeichen für abrupte Kipppunkte im Lebensraum – Anpassung noch möglich

„Wir sehen aktuell keine Anzeichen für Kipppunkte des gesamten Ökosystems,“ sagt Dr. Giovanni Romagnoni vom Center for Ocean and Society des Forschungsschwerpunktes Kiel Marine Science (KMS) an der CAU. „Der eher allmähliche Rückgang der Artenvielfalt deutet zugleich darauf hin, dass neue Arten möglichweise die Nischen derjenigen besetzen können, für die wir aufgrund des Klimawandels einen Kollaps vorhersagen müssen und somit deren ökologische Rolle übernehmen,“ so Meeresbiologe Romagnoni, der kürzlich vom Leibniz-Zentrum für Marine Tropenforschung zur Universität Kiel gewechselt ist.

Um nun die Auswirkungen verschiedener Management-Optionen für den Umgang mit Kipp-Punkten zu untersuchen, wurde von einem der Teilprojekte in Humboldt-Tipping ein konzeptioneller Rahmen geschaffen, das so genannte „Window of Tipping Point Analysis (WTPA)". Mit diesem können Akteure vor Ort ihre Möglichkeiten ausloten, zu agieren. „Gute institutionelle Rahmenbedingungen können entscheidend dazu beitragen, negative Folgen abzumildern oder sogar ins Positive zu wenden. In der zweiten Projektphase wollen wir diese Anpassungsstrategien an die veränderten Umweltbedingungen konkretisieren“, sagt Projektleiterin Riekhof.

Virtuelle Ausstellung und Bildungsplattform informiert über Ergebnisse der Forschung

Die Ergebnisse des Projektes wurden in einer virtuellen Ausstellung aufbereitet. In einem 2,5 D-Modell lässt sich das Leben am Humboldt-Strom und die verschiedenen Lebensbereiche im Ozean und an Land erkunden. Neben Animationen und Videos zu zentralen Aspekten des Forschungsprojektes Humboldt-Tipping gibt es weiterführende Informationen zu den Themen Fischerei, Nachhaltigkeit, Klimawandel und über den Humboldtstrom selbst. Die Ausstellung ist online und als Browserversion in den Sprachen Englisch, Deutsch und Spanisch verfügbar. Auf der Kieler Woche wird die Ausstellung im Rahmen der kieler uni live, in der Pagode 6 des Forschungsschwerpunktes Kiel Marine Science (KMS), erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt.

Über Humboldt-Tipping

Das Projekt „Socio-ecologic Tipping Point of the Northern Humboldt Current Upwelling System, Economic Repercussions and Governance Strategies, kurz Humboldt-Tipping“ wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und ist Teil der Bio-Tip-Ausschreibung des FONA Programms - Forschung für nachhaltige Entwicklung. In Humboldt-Tipping sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU), der Universität Hamburg, der Universität Bremen, des Leibniz Zentrum für Marine Tropenforschung Bremen und des GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel sowie Partner aus dem dem Instituto del Mar del Perú (IMARPE) und der Group for the Analysis of Development (GRADE), Lima, Peru involviert.

Gruppenbild
© Frederike Tirre, Uni Kiel

Gemeinsam und im Dialog mit Gruppen von Nutzerinnen und Nutzern vor Ort haben Forschende aus Kiel, Hamburg und Bremen mit ihren peruanischen Wissenschaftspartnerinnen und -partnern im Projekt Humboldt-Tipping neue Anpassungsstrategien an den Klimawandel entwickelt.

Fischerboote auf einer Wasseroberfläche, Stadtsilhouette im Hintergrund
© Frederike Tirre, Uni Kiel

Handwerkliche Fischerei an der Küste Perus. Der Humboldtstrom sorgt für ein reichhaltiges Nahrungsangebot für zahlreiche Fischarten, darunter die Sardelle.

Grafische Abbildung
© Frederike Tirre, Uni Kiel

Die Ergebnisse aus vier Jahren Forschung im Projekt Humboldt Tipping wurden in einer virtuellen Ausstellung und Bildungsplattform aufbereitet.

Publikationen aus dem Projekt (Auszug)

Riekhof, M.-C., Kluger, L. C., Salvatteci, R., Siebert, L., & Voss, R. (2022). To tip or not to tip: The Window of Tipping Point Analysis for social-ecological systems. Natural Resource Modeling, 35, e12357. DOI: 10.1111/nrm.12357

Hill Cruz, M., Frenger, I., Getzlaff, J., Kriest, I., Xue, T., Shin, Y.-J. Understanding the drivers of fish variability in an end-to-end model of the Northern Humboldt Current System. DOI: 10.1016/j.ecolmodel.2022.110097

Salvatteci, R., Schneider, R.R., Galbraith, E., Field, D., Blanz, T., Bauersachs, T., Crosta, X., Martinez, P., Echevin, V., Scholz, F., Bertrand, A., 2022. Smaller fish species in a warm and oxygen-poor Humboldt Current system. Science 375, 101–104. DOI: 10.1126/science.abj0270

Wissenschaftlicher Kontakt:

Prof. Dr. Marie-Catherine Riekhof
Direktorin Center for Ocean and Society (CeOS)
Kiel Marine Science (KMS)
Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU)
mcriekhof@ae.uni-kiel.de
0431/880-6596

Über Kiel Marine Science (KMS)

Kiel Marine Science (KMS) ist das Zentrum für interdisziplinäre Meereswissenschaften an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU). KMS bildet die organisatorische Einheit für alle natur-, geistes- und sozialwissenschaftlich arbeitenden Forscherinnen und Forscher, die sich mit den Meeren, Küsten und den Einfluss auf die Menschheit beschäftigen. Die Expertise der Gruppen kommt beispielsweise aus den Bereichen der Klimaforschung, der Küstenforschung, der Physikalischen Chemie, der Botanik, aus der Mikrobiologie, der Mathematik, der Informatik, der Ökonomie oder aus den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Insgesamt umfasst KMS über 70 Arbeitsgruppen an sieben Fakultäten und aus über 26 Instituten. Gemeinsam mit Akteuren außerhalb der Wissenschaft arbeiten sie weltweit und transdisziplinär an Lösungen für eine nachhaltige Nutzung und den Schutz des Ozeans.

Pressekontakt:
Friederike Balzereit
Wissenschaftskommunikation | Öffentlichkeitsarbeit | Kiel Marine Sciences (KMS)