Digitale Podiumsdiskussion am 14. Januar 2021

Ist der Milchmarkt noch zu retten?

© Eva Wolf

Perspektiven für faire Preise und mehr Tierwohl

Digitale Podiumsdiskussion am 14. Januar 2021, 18.30 bis 20.30 Uhr

Glückliche Kühe, weitläufige Weiden, gemütliche Bauernhöfe, entspannte Bauernfamilien: So wünschen sich viele Verbraucher*innen die Milchwirtschaft, und so wird sie oft auch in der Werbung dargestellt.

Die Realität sieht anders aus: Seit Jahren erhalten Milchbäuerinnen und -bauern keine kostendeckenden Milchpreise. Tausende Betriebe haben in Europa in den letzten Jahren die Milchviehhaltung aufgegeben oder gar den ganzen Betrieb dicht gemacht.

Wer nach den Kriterien des ökologischen Landbaus und eines Bioverbandes arbeitet, erhält einen höheren Milchpreis. Aber tatsächlich sind auch im Biomarkt die Erzeugerpreise nicht immer kostendeckend, denn die Tierhaltung ist aufgrund der Standards (z.B. größere Ställe) teilweise kostspieliger als auf konventionellen Höfen.

Was heißt das für die Zukunft?

Moderator Max Moor wird mit Vertreter*innen aus Handel, Landwirtschaft und Gesellschaft diskutieren, ob es Alternativen zum Prinzip „Wachsen oder Weichen“ gibt oder ob bald nur noch wenige große Milch“fabriken“ übrig bleiben werden. Mit einer Milchproduktion, die billige Milch in die Supermärkte bringt, aber auf Kosten von Umwelt, Tier und letztlich auch Mensch geht. Oder ob sich regionale Qualitätsproduktion, Direktvermarktung und Modelle wie Verbraucher-Erzeuger-Gemeinschaften auch größer denken lassen, um flächendeckend faire Erzeugerpreise für nachhaltige Milchproduktion zu sichern? Können im Handel faire Erzeugerpreise durchgesetzt werden? Was ist von der Politik gefordert?

Hier finden Sie mehr Informationen zu dem im Einspieler gezeigten Dokumentarfilm "Das System Milch". (Mehr zu Demeter-Milch.)

Sprecher*innen

Max Moor, Moderator

Max Moor ist diplomierter Schauspieler und als Reporter und Moderator besonders in der Kulturberichterstattung bekannt. Seit 2007 moderiert er für die ARD titel thesen temperamente sowie auf 3sat zahlreiche Sondersendungen. Für den RBB moderiert er u. a. die Sendungen "Bücher und Moor" und "Köche und Moor". Max Moor kennt die Herausforderungen der Landwirtschaft aus eigener Erfahrung: Gemeinsam mit seiner Frau Sonja hat er jahrelang einen Biobauernhof in Brandenburg betrieben. Dort engagieren sich die Moors mit dem gemeinnützigen Verein AFZ – Alternativen für Zukunft im Rahmen des Projekts "Modelldorf Hirschfelde" für nachhaltige ökologische und wertschöpfende Land- und Kleinwirtschaft.

Diskussions­teilnehmer Moritz Morgenstern, Demeter-Milchbauer und Mitgründer der Norddeutschen Demeter-Milchbauern GmbH & Co. KG

Nach dem Studium der Agrarwissenschaften (M.Sc.) leitet er seit 2015 den Familien-Betrieb „Hofgemeinschaft Aschhorn“ mit ca. 480 Hektar Fläche. Davon sind ungefähr 290 Hektar Ackerbau (Kleegras, Dinkel, Weizen, Hafer, Roggen, Tritikale-Erbsen und Mais), 190 ha Dauergrünland. Die Milchviehherde mit 140 Kühen ist das Herzstück des Betriebes. Der Betrieb wird seit 1990 als Demeter-Betrieb bewirtschaftet, seit 40 Jahren ist der Betrieb in Besitz der Familie Morgenstern. Moritz ist Mitgründer der Norddeutschen Demeter-Milchbauern GmbH & Co. KG.

Diskussions­teilnehmerin Kirsten Wosnitza, konventionelle Milchbäuerin

Die Agraringenieurin ist Milchbäuerin aus Leidenschaft. In Nordfriesland, unweit der dänischen Grenze, bewirtschaften sie und ihr Mann einen konventionellen Hof mit 120 Milchkühen. Die Wiederkäuer grasen dort, so lange es die Wetterbedingungen hergeben, auf der Weide – mindestens von April bis Oktober. In dieser Zeit kommen die Tiere nur zum Melken in den Stall. Sie engagiert sich seit langem in Sachen fairer Milchpreis und Tierwohl, lange war sie Teamleiterin des Bundes Deutscher Milchviehhalter im Norden. diskuhsion.com

Diskussions­teilnehmerin Tina Andres, Geschäftsführerin der Landwege Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft

Seit 14 Jahren ist die studierte Biologin geschäftsführender Vorstand der Erzeuger-Verbraucher-Gemeinschaft Landwege eG, die in Lübeck und Bad Schwartau fünf Biomärkte betreibt. Die Genossenschaft hat inzwischen über 100 Mitarbeiter*innen, über 500 Mitglieder und rund 30 ökologische Mitgliedshöfe. Die Produkte der über 30 Mitgliedshöfe stammen aus maximal 100 Kilometern Entfernung. Aus den Hofmolkereien der Mitgliedsbetriebe sind 60 Käsesorten im Sortiment.

Diskussions­teilnehmer Schimon Porcher, Abteilunsgleiter Markt bei Demeter und Biobauer

Seit 2019 ist der studierte Betriebswirt Abteilungsleiter der Abteilung Markt im Demeter e.V. Berufliche Erfahrungen sammelte er in leitenden Positionen im Vertrieb und in der landwirtschaftlichen Praxis auf Demeter-Betrieben. Neben der Verbandsarbeit wechselt er weiter gern in seine Gummistiefel auf dem Hof: Mit seiner Familie betreibt er einen Landschaftspflegebetrieb im Odenwald – mit alten Streuobstwiesen und horntragenden Dexter-Rindern.

Impulsbeitrag Christian Hiss von der Regionalwert AG Freiburg haben wir gefragt:

Ist die Regionalwert-Leistungsrechnung der Weg zu finanzieller Wertschätzung?

Christian Hiss ist Vorstand und Gründer der Regionalwert-AG Freiburg. Als gelernter Gärtner und mit einem Master in Social Banking hat er mit dem Biohof seiner Familie als Grundstock die Regionalwert AG gegründet. Mit den Bürgeraktien wird ein Netzwerk regionaler Wertschöpfung finanziert: Von der landwirtschaftlichen Erzeugung über Verarbeitung bis hin zu Dienstleistung, Handel, und Gastronomie.

Hier finden Sie die Folien zum Impulsvortrag

Impulsbeitrag Nicolas Barthelme von Du bist hier der Chef stellt sich der Frage:

Wenn die Verbraucher*innen entscheiden, was hergestellt wird - bekommen die Höfe dann einen fairen Preis?

Nicolas Barthelmé ist Betriebswirt und arbeitete viele Jahre im Vertrieb und Marketing von Markenherstellern der Lebensmittelbranche. Ende 2018 entdeckte er die Idee der französischen Verbraucherbewegung „C’est qui le patron?!“. Im Juni 2019 gründete er mit 8 weiteren Verbraucher:innen die Initiative „Du bist hier der Chef! Die Verbrauchermarke“, die Transparenz bei Qualität und Preis von Lebensmitteln schaffen und Landwirten eine faire Vergütung garantieren möchte. Bei „Du bist hier der Chef!“ entscheiden Verbraucher:innen selbst, was ihnen bei Lebensmitteln wichtig ist, wie diese produziert werden sollen und was ein fairer Preis ist.

Hintergrund

Der Kostendruck hat das Höfesterben bei den Milchbauern angeheizt. Ende 2019 ist die Zahl der deutschen Milchbauern erstmals unter 60.000 gesunken.  Allein in den letzten 5 Jahren erfolgte eine Abnahme der Milchviehbetriebe um rund 13.000 bzw. etwa ein Fünftel. Jüngst hat der LEH die Einkaufspreise für Butter bei den Eigenmarken um 56 Cent/kg gesenkt. 

Quelle: Artikel der AgrarHeute (17.11.2020), zu Grunde liegen unter anderem die vom BALermittelten KostenTopAgrar vom 6.1.2021. 

Für das dritte Quartal 2020 wurden Milcherzeugungskosten von 46,95 Cent pro Kilogramm Milch ermittelt. Gegenüber dem Vorquartal gab es auf der Kostenseite einen Anstieg von 0,19 Cent. Allerdings wurden von April bis Juli 2020 die Milchauszahlungspreise von den Molkereien erneut gesenkt. In Folge verschlechterte sich das Verhältnis zwischen den Kosten und Erlösen und damit auch die Wirtschaftlichkeit der Milcherzeugung weiter.

Quelle: Milch Marker Index der MEG Milkboard

"Ich verliere im Jahr 60.000 Euro als relativ kleiner Betrieb." Von Familienbetrieben, die unter Druck stehen und aufgeben, und von solchen, die Alternativen suchen. 3000 Betriebe schließen jedes Jahr in Deutschland für immer ihre Hoftore - lässt man die Betriebe bewußt pleite gehen, um die Milchmenge zu senken? 

Die dunkle Seite der Milch, Dokumentation des Bayrischen Rundfunks. 

Die Kosten für alle Betriebsmittel und allgemeinen Betriebsaufwendungen zuzüglich der Arbeitskosten der Milcherzeuger*innen, abzüglich der Einnahmen aus dem Rinderverkauf (Kälber, Schlacht- und Zuchttiere) und durch Beihilfen ergibt sich im Endergebnis ein Erzeugungspreis von 60,29 Cent pro Kilogramm erzeugter Biomilch ab Hof für das Wirtschaftsjahr 2018/2019. Die Milch müsste eigentlich 2 Euro Kosten - diese Feststellung von 2017 ist noch immer aktuell.  

Quelle: Was kostet die Erzeugung von Biomilch? Berechnung der Erzeugungskosten durch das Büro für  Agrarsoziologie und Landwirtschaft; Was verdient die Kuh? Demeter Journal 2017

Wie gut geht es unseren Milchkühen? Während auf einem Großteil der landwirtschaftlichen Betriebe die Kühe weitgehend gut gehalten werden, kommen beispielsweise Lahmheiten und Euterentzündungen weiterhin im zweistelligen Prozentbereich vor. 

Quelle: Studie der tierärztlichen Hochschule Hannover, der Freien Universität Berlin und der Ludwig-Maximilians-Universität München zur Gesundheit von Milchkühen auf konventionellen und einigen ökologisch wirtschaftenden Betrieben. Übersicht.

Kraftfutter steigert die Milchleistung, ist aber teuer. Hochleistende Milchkühe erhalten heute große Mengen Kraftfutter. Dabei können Milchkühe mit einer grundfutterbetonten Fütterung sehr gut zurechtkommen und verbleiben oft auch länger in den landwirtschaftlichen Betrieben, als dies bei der konventionellen Fütterung der Fall ist.

Quelle: Forschungsprojekt und Netzwerk zur Wirtschaftlichkeit einer Milchviehhaltung ohne Kraftfutter, BAL, Forschungsbericht

Kraftfutteranbau hat auch negative Auswirkungen für Klima und Artenvielfalt: Jedes Jahr wird die Ackerfläche für den Futtermittelanbau größer. Für Soja lag sie 1997 bei 67 Millionen Hektar, inzwischen (2018) sind es 120 Millionen. In einem 2017 veröffentlichten Bericht macht das UN-Umweltprogramm UNEP die Ernährungssysteme für mehr als sechzig Prozent des Biodiversitätsverlustes weltweit verantwortlich. Vorn dabei: die Fleisch- und Futtermittelproduktion.

Quelle: Fleischatlas 2018, "Endlichkeit der Landwirtschaft" von Christine Chemnitz

Ein "Massenprodukt" wie Milch am Weltmarkt zu handeln hat Auswirkungen auf lokale Märkte: Bäuerliche Betriebe hier und im globalen Süden stehen untr großem Druck. Der weltweite Handel mit Tierfutter hat Auswirkungen auf Regenwald, bäuerliche Betriebe, Klima und schafft Abhängigkeiten. Ein interessantes Diskussionspapier zur Wertschöpfungskette von Milch und Überlegungen zu einer solidarischen Regionalisierung.

Global, regional - alles egal? - ein Papier von Powershift, AbL, Naturfreunde, Forum Umwelt und Entwicklung, attac

Die-Wertschoepfungskette-von-Milch-und-Ueberlegungen-zu-einer-solidarischen-Regionalisierung-web-15122020.pdf (power-shift.de)

Die Rinderhaltung ist umso klimafreundlicher, wenn sie nachhaltig, mit Weidegang, Dauergrünland und Futterbauflächen (z.B. Luzerne und Kleegras) betrieben wird und der Kraftfutteraufwand in einem wiederkäuergerechten Verhältnis zum Grundfutter steht.

 Quellen: Informationspapier Rind und Klima von AÖL und Anita Idel; Klimakiller oder Klimaschützer von Adrian Till Meyer

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