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„Wir wollen endlich etwas in der Hand haben“

Rassismus gegen Schwarze Menschen: Weil es in Deutschland dazu keine Daten gibt, starten Muna Aikins und Teresa Bremberger jetzt den Afrozensus

fluter.de: Warum plant ihr eine Umfrage speziell für Schwarze Menschen afrikanischer Herkunft?

Muna: Schwarze Menschen sind eine vulnerable Gruppe, die besonders von Rassismus betroffen ist. Doch obwohl Schwarze Menschen seit Jahrhunderten hier leben, gibt es bei uns bislang keine Daten, die ihre Erfahrungen damit aufzeigen. Diese sind jedoch wichtig, um Strategien dagegen zu entwickeln.

Was sind das für Erfahrungen?

Teresa: Rassismus funktioniert über ähnliche Mechanismen wie andere Diskriminierungsformen auch. Unter anderem werden Menschen wegen bestimmter Merkmale, zum Beispiel ihrer „Hautfarbe“ oder vermeintlichen Herkunft, bestimmte Eigenschaften zugeschrieben. Anti-Schwarzer Rassismus ist insofern spezifischer, als in diesem Fall die kolonialhistorische Vergangenheit eine große Rolle spielt. Wir möchten bewusst keine konkreten Beispiele nennen, um diese Stereotype nicht zu reproduzieren. Aber ein großer Punkt, der aus diesen Zuschreibungen resultiert, ist beispielsweise Racial Profiling.

Muna: Schwarzen Menschen werden bestimmte Zugänge, beispielsweise im Schulsystem, auf dem Wohnungsmarkt oder auch auf dem Arbeitsmarkt, systematisch verwehrt, und es findet keine gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft statt. Anti-Schwarzer Rassismus ist nicht nur eine Einzelerfahrung auf individueller Ebene, sondern ein strukturelles und institutionelles Problem.

„Deutschland hat eine Rüge bekommen von der UN, weil es diese Daten nicht erhebt“

Wieso gibt es in Deutschland bislang noch keine Daten dazu?

Teresa: Bisher hat sich Deutschland damit herausgeredet, dass angesichts der historischen Begebenheiten, also der Verfolgung von Minderheiten im Nationalsozialismus, keine Daten über solche Gruppen erhoben werden sollen.

Könnt ihr dieses Argument nachvollziehen?

Teresa: Wir halten das – zumindest in unserem Fall – für eine faule Ausrede. Wir wollen ja gar keine Minderheiten zählen, sondern deren Erfahrungen sichtbar machen. Deutschland hat auch schon eine Rüge bekommen von der UN, weil es diese Daten nicht erhebt und nicht genug unternimmt, um Rassismus zu bekämpfen. Diese Daten tragen aber einen wichtigen Teil dazu bei, Anti-Schwarzen Rassismus zu erfassen und Strategien zu entwickeln, diesen abzubauen.

Muna: Und diese auch einzufordern! Bei unserer Arbeit mit Each One Teach One haben wir schon häufig die Erfahrung gemacht, dass von Politik und Verwaltung die Frage kommt: „Ja, ihr Schwarzen Menschen, wie viele seid ihr, was wollt ihr, was ist denn eure Erfahrung, gibt es dazu Daten?“ Wir wollen endlich etwas in der Hand haben.

Sensible Informationen über das Internet abzufragen ist nicht gerade ohne. Schützt ihr die Daten der Befragten?

Muna: Natürlich! Die Umfrage erfolgt anonym, und die Ergebnisse werden zusammengefasst dargestellt. Es ist also nicht möglich, einzelne Ergebnisse einer bestimmten Person zuzuordnen. Auch technisch stellen wir die Daten der Befragten sicher: So werden alle Daten auf einem verschlüsselten Server gespeichert und die E-Mails getrennt von den inhaltlichen Umfragedaten hinterlegt. Bei datenschutzrechtlichen Fragen und der Erstellung des Fragebogens werden wir von unserem Projektpartner Citizens for Europe (CFE) unterstützt.

Der Afrozensus wird von dem Berliner Verein Each One Teach One (EOTO) gemeinsam mit Citizens for Europe (CFE) durchgeführt und von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes gefördert. EOTO setzt sich seit 2012 für die Interessen Schwarzer, Afrikanischer und Afrodiasporischer Menschen in Deutschland und Europa ein. Unter afrozensus.de kann man sich für eine Teilnahme anmelden. Bis jetzt haben sich fast 2.800 Menschen registriert.

An wen richtet sich die Umfrage?

Teresa: Teilnehmen können alle Schwarzen, afrikanischen, afrodiasporischen Menschen über 16, die ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland haben oder bis vor kurzem hatten.

Muna: Die Ergebnisse werden wir dann in einem Bericht veröffentlichen. Sie sollen in erster Linie den Schwarzen Communitys zur Verfügung stehen, aber auch der Politik und der Gesellschaft allgemein. Anti-Schwarzer Rassismus sollte nicht nur für Betroffene ein Thema sein, vor allem die deutsche Mehrheitsgesellschaft muss daran arbeiten, etwas zu ändern.

 
Afrozensus

… einige besuchen sonntags die freikirchliche Gemeinde, in einem Flachbau zwischen Kleingärten und Garagen

Inwiefern können diese Daten Schwarzen Communitys nützen?

Muna: Wenn durch unsere Daten sichtbarer wird, dass der Rassismus in Deutschland strukturell ist und nicht nur einzelne Individuen betrifft, kann das für Betroffene eine heilende Wirkung haben – zu wissen, dass man nicht allein diese Erfahrungen macht.

Teresa: Außerdem erheben wir nicht nur die Diskriminierungserfahrungen, sondern auch, wie die Menschen damit umgegangen sind. Beispielsweise ob sie den Vorfall gemeldet haben und, wenn ja, an welche Stelle und wie zufrieden sie damit waren. Außerdem gibt es eine Rubrik, in der die Befragten politische Forderungen aufschreiben können. Das hat auch eine empowernde Wirkung, wenn man weiß: Wir erfahren nicht nur etwas, sondern wir sind auch handelnde Personen.

„Unsere Hoffnung ist, dass wir stärker durch die Politik unterstützt werden, wenn wir die Daten haben“

Was, glaubt ihr, kommt bei der Umfrage heraus?

Muna: Wir gehen davon aus, dass viele Befragte von Diskriminierungsvorfällen berichten werden, aber wie viel, das wird sich erst zeigen. In Deutschland gibt es ja auch nicht die eine Schwarze Community, sondern viele unterschiedliche; da sind diverse Menschen mit unterschiedlichen Ansichten und Erfahrungen. Wir wollen schauen: Welche Standpunkte gibt es? Wo gibt es Überschneidungen? Was sind Themen, bei denen sich die Befragten über alle Communitys hinweg einig sind, dass sie in Deutschland angegangen werden sollen?

Was für eine Reaktion erhofft ihr euch von der deutschen Politik und der Gesellschaft?

Muna: Das Thema Rassismus ist aktuell sehr präsent. Nach Taten wie denen in Hanau ist die Aufregung immer groß, aber danach passiert viel zu wenig. Das ist ein bisschen wie ein Echo, das immer wieder kommt. Die deutsche Politik muss Rassismus strukturell angehen.

Teresa: Unsere Hoffnung ist, dass wir stärker durch die Politik und auch Gesetze unterstützt werden, wenn wir die Daten haben, und nicht mehr von einem individuellen Verständnis abhängig sind. Die Stimmen, die unsere Geschichten erzählen, sind da, und das nicht erst seit gestern, sondern schon seit Jahrhunderten. Da haben sehr viele Schwarze Menschen und Organisationen schon unheimlich viel gekämpft und Arbeit geleistet. Unsere Anliegen dürfen nicht länger ignoriert werden.

Übrigens schreiben wir „Schwarz“ groß, um zu verdeutlichen, dass es keine „Eigenschaft“ ist, die mit „Hautfarbe“ zu tun hat, keine Kategorie, in der man Menschen einordnen kann. Der Begriff „Schwarz“ ist hier eine politische Selbstbezeichnung von Menschen afrikanischer Herkunft, deren Erfahrung durch Kolonialismus und Rassismus geprägt ist.

Fotos: Espen Eichhöfer/ OSTKREUZ

Dieser Text wurde veröffentlicht unter der Lizenz CC-BY-NC-ND-4.0-DE. Die Fotos dürfen nicht verwendet werden.