Schutz vor unlauteren Handelspraktiken

Gesetzliche Regeln stärken die Verhandlungsposition von Landwirten gegenüber umsatzstarken Unternehmen in der Lebensmittellieferkette

Die Bezahlung für die ausgelieferten 30 Paletten Salatköpfe lässt auf sich warten, der Auftrag, weitere 20 Paletten anzuliefern, wird über Nacht storniert. Unlautere Handelspraktiken wie diese sind nicht zulässig.

Landwirtinnen und Landwirte sollen auskömmlich wirtschaften können und für ihre Leistungen anständig bezahlt werden. In ihrer Rolle als kleinere Marktteilnehmer haben Landwirte aber in der Regel eine geringere Verhandlungsmacht als die Unternehmen der vielfach hochkonzentrierten Stufen der Verarbeitung und des Lebensmitteleinzelhandels. Alternative Absatzwege sind meist nicht gegeben, auch aufgrund der schnellen Verderblichkeit vieler landwirtschaftlicher Erzeugnisse. Durch das Machtungleichgewicht in der Lebensmittelkette zu Ungunsten der Landwirte hatten sich in der Vergangenheit Praktiken etabliert, die Erzeuger benachteiligen. Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) setzt sich deshalb dafür ein, die Stellung der landwirtschaftlichen Erzeugerinnen und Erzeuger in der Wertschöpfungskette zu stärken.

Das Gesetz zur Stärkung der Organisationen und Lieferketten im Agrarbereich (Agrar-Organisationen-und-Lieferketten-Gesetz – kurz: AgrarOLkG) verbietet unlautere Handelspraktiken und sorgt so für mehr Fairness bei den Geschäftsbeziehungen in der Lebensmittellieferkette. Das Gesetz ist am 9. Juni 2021 in Kraft getreten. Am 8. Juni 2022 lief die einjährige Übergangsfrist zur Anpassung von Altverträgen an die neuen Regelungen ab. Einzelne Vorschriften des AgrarOLkG werden in der Verordnung zur Stärkung der Organisationen und Lieferketten im Agrarbereich (Agrarorganisationen-und-Lieferketten-Verordnung – kurz: AgrarOLkV) präzisiert.

Zwei Jahre nach seinem Inkrafttreten wurde das AgrarOLkG im Jahr 2023, wie gesetzlich vorgeschrieben, evaluiert und die Wirksamkeit seiner Regelungen überprüft. Die Evaluierungsergebnisse belegen die grundsätzliche Wirksamkeit der mit dem AgrarOLkG getroffenen Regelungen. Die Verbote unlauterer Handelspraktiken zeigen erste Wirkung und die Verhandlungsposition der Lieferanten wurde gestärkt. Zugleich wurde offensichtlich, dass Anpassungen im AgrarOLkG nötig sind, um die Fairness in der Wertschöpfungskette weiter zu stärken.

Die Evaluierung wurde durch das BMEL unter Beteiligung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) durchgeführt. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) brachte sich ergänzend ein. Erfahrungen der Wirtschaftsbeteiligten mit unlauteren Handelspraktiken wurden im Zuge einer Befragung erhoben. Auf Grundlage des Evaluierungsberichts, der dem Deutschen Bundestag vorgelegt wurde, kann über Anpassungen des AgrarOLkG beraten und entschieden werden.

Welche Praktiken sind verboten?

Das Gesetz zur Stärkung der Organisationen und Lieferketten im Agrarbereich sieht ein Verbot der schädlichsten unlauteren Handelspraktiken in der Lebensmittelkette vor. Es enthält generelle Verbote für bestimmte unlautere Handelspraktiken. Diese Praktiken gehören zur "schwarzen Liste". Andere Praktiken sind dann verboten, wenn sie nicht zuvor klar und eindeutig zwischen den Vertragsparteien vereinbart wurden. Diese Praktiken zählen zur „grauen Liste“.

Diese Praktiken sind generell verboten:

  • Kaufpreiszahlungen

    • für verderbliche Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse später als 30 Tage nach der Lieferung oder – wenn die Erzeugnisse regelmäßig geliefert werden – nach Ablauf des vereinbarten Lieferzeitraums oder später als 30 Tage nach dem Tag der Festlegung des zu zahlenden Betrags und
    • bei anderen als verderblichen Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen später als 60 Tage nach der Lieferung oder – wenn die Erzeugnisse regelmäßig geliefert werden – nach Ablauf des vereinbarten Lieferzeitraums oder später als 60 Tage nach dem Tag der Festlegung des zu zahlenden Betrags;
  • Zurückschicken unverkaufter Erzeugnisse vom Käufer an den Lieferanten ohne Zahlung des Kaufpreises und, soweit die Erzeugnisse nicht mehr verwendbar sind, der Beseitigungskosten;
  • kurzfristige Stornierung von Bestellungen verderblicher Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse durch den Käufer;
  • Abwälzung der Lagerkosten des Käufers auf den Lieferanten;
  • einseitige Änderung der Bedingungen einer Lieferung in Bezug auf Häufigkeit, Art und Weise, Ort, Zeitpunkt oder Umfang der Lieferung, der Qualitätsstandards, der Zahlungsbedingungen oder der Preise oder bestimmter Dienstleistungen durch den Käufer;
  • Zahlungsverlangen des Käufers für Qualitätsminderung oder vollständige Qualitätseinbuße von Erzeugnissen nach Übergabe der Lieferung an den Käufer; oder für die Bearbeitung von Kundenbeschwerden im Zusammenhang mit den Erzeugnissen des Lieferanten; ohne dass ein Verschulden des Lieferanten vorliegt;
  • Forderung von Zahlungen, die nicht im Zusammenhang mit dem Verkauf von Erzeugnissen des Lieferanten stehen;
  • Zahlungsverlangen des Käufers für die Listung markteingeführter Produkte;
  • Drohung des Käufers mit Vergeltungsmaßnahmen geschäftlicher Art oder deren Anwendung, wenn der Lieferant von seinem vertraglichen oder gesetzlichen Rechten Gebrauch macht oder seine gesetzlichen Pflichten erfüllt;
  • Weigerung des Käufers, eine geschlossene Liefervereinbarung oder bestimmte Zahlungen- und Kostenschätzungen auf Verlangen des Lieferanten in Textform zu bestätigen;
  • Rechtswidrige Erlangung, Nutzung oder Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen des Lieferanten durch den Käufer;

Diese Praktiken sind verboten, wenn sie nicht zuvor klar und eindeutig vereinbart wurden:

  • Zahlungsverlangen des Käufers für die Listung der Erzeugnisse bei deren Markteinführung,
  • Zahlungsverlangen des Käufers für die Vermarktung der gelieferten Agrar- und Lebensmittelerzeugnissen, einschließlich Verkaufsangeboten, der Werbung, Preisnachlässen im Rahmen von Verkaufsaktionen und der Bereitstellung auf dem Markt;
  • Zahlungsverlangen des Käufers für das Einrichten der Verkaufsräumlichkeiten.

 

Wer wird geschützt?

Die Regeln schützen alle Unternehmen der Lebensmittelerzeugung und -verarbeitung bis zu einem Jahresumsatz von 350 Millionen Euro gegenüber jeweils größeren Unternehmen der Lebensmittelverarbeitung beziehungsweise des Lebensmittelhandels.

Zudem werden Lieferanten von Milch- und Fleischprodukten sowie von Obst-, Gemüse- und Gartenbauprodukten einschließlich Kartoffeln geschützt, die einen Jahresumsatz im jeweiligen Verkaufssegment in Deutschland von höchstens vier Milliarden Euro haben. Allerdings darf ihr gesamter Jahresumsatz nicht mehr als 20 Prozent des Jahresumsatzes des Käufers betragen. So werden auch größere erzeugergetragene Unternehmen aus den genannten Sektoren in den Anwendungsbereich einbezogen. Diese Ausdehnung des Schutzes ist zunächst befristet bis zum 1. Mai 2025.

Durch den Schutz sowohl der Erzeuger als auch größerer Lieferanten wird vermieden, dass über unlautere Handelspraktiken an anderen Stellen der Kette ein zu starker Druck auf Landwirte ausgeübt wird.

Lieferanten, die von unlauteren Handelspraktiken betroffen sind, können eine Beschwerde bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) erheben. Sie agiert als Durchsetzungsbehörde für die Regelungen und kann auch von Amts wegen Untersuchungen einleiten. Entscheidungen über Verstöße gegen die Verbote trifft die BLE im Einvernehmen mit dem Bundeskartellamt. Es können Geldbußen bis zu 750 000 Euro verhängt werden.

EU-weiter Schutz

Das Gesetz zur Stärkung der Organisationen und Lieferketten im Agrarbereich dient der Umsetzung der so genannten UTP-Richtlinie. Die Richtlinie 2019/633 über unlautere Handelspraktiken in den Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen in der Agrar- und Lebensmittelversorgungskette - kurz: UTP-Richtlinie - wurde im April 2019 vom Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union erlassen.

Mit der Umsetzung der Richtlinie durch die Mitgliedstaaten in nationales Recht gilt erstmals EU-weit ein einheitlicher Mindestschutzstandard und Erzeugerinnen und Erzeuger landwirtschaftlicher Produkte werden gestärkt.  

Deutschland geht bei der Richtlinienumsetzung punktuell über den EU-weiten Mindestschutz hinaus. Das Gesetz zur Stärkung der Organisationen und Lieferketten im Agrarbereich verbietet drei weitere Praktiken, die nach der UTP-Richtlinie als Teil der so genannten grauen Liste bei vorangehender klarer und eindeutiger Vereinbarung zulässig wären. Zusätzlich verboten wird  die Rückgabe unverkaufter Agrar- und Lebensmittelerzeugnisse vom Käufer an den Lieferanten ohne Zahlung des Kaufpreises (sog. Retourenverbot). Verboten wird außerdem, Listungskosten für markteingeführte Produkte und Lagerkosten des Käufers auf den Lieferanten abzuwälzen. Eine einseitige Risikoverteilung zulasten der Erzeuger ist dadurch nicht mehr möglich.

Auch mit der befristeten Ausdehnung des Kreises der geschützten Lieferanten geht Deutschland über die Mindestvorgabe der UTP-Richtlinie hinaus. Während nach der Richtlinie Lieferanten mit einem Jahresumsatz bis 350 Millionen Euro geschützt werden müssen, werden in Deutschland für bestimmte Sektoren bis zum 1. Mai 2025 Lieferanten bis zu einem Jahresumsatz von höchstens vier Milliarden Euro in den Schutz einbezogen.

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